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Manifest zur kritischen Erwachsenenbildung
Diese Thesen richten sich an alle, die sich „nicht derart regieren lassen wollen“ und den Auftrag und die Möglichkeit der Erwachsenenbildung ernst nehmen, zu einer Gesellschaft beizutragen, die ein gutes Leben für alle ermöglicht.
In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt die kapitalistische Ökonomie durchgehend das gesellschaftliche Leben. Markt- und Steigerungslogik sowie Leistungsorientierung durchdringen alle Lebensbereiche. Wir leben in Zeiten, in denen Regierungen Angst verbreiten, sich vom globalisierten Kapital abhängig und Menschen zum Objekt der Wirtschaftsverhältnisse machen. Wir sind mit einem Schwinden des solidarischen Zusammenhalts und einer Zunahme der systematischen Aushöhlung humanistischer und sozialer Werte konfrontiert. Verantwortungen werden individualisiert und zunehmende Konkurrenzen prägen das soziale Leben und damit auch die Bedingungen von Bildung, Lernen und Lehren.
Auf Basis der skizzierten Ausgangslage benennen wir unser Grundverständnis kritischer Erwachsenenbildung:
- Wir teilen eine Grundhaltung, die die Menschen in den Mittelpunkt stellt und statt Ausgrenzung und Konkurrenz, gemeinschaftliches Lernen und Handeln sowie globale Solidarität ermöglicht.
- Wir stehen für eine Erwachsenenbildung, die der Entfaltung der kritischen Potenziale aller und der Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft dient.
- Wir vertreten eine Erwachsenenbildung, die Menschen befähigt, das eigene Leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst zu gestalten.
- Wir kämpfen für eine Erwachsenenbildung, die kreative, kulturelle und politische Bildung vorantreibt und nicht an ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtet ist.
Im Sinne einer so verstandenen kritischen Erwachsenenbildung orientieren wir uns an handlungsleitenden Prinzipien:
- Wir verfolgen die Idee einer Erwachsenenbildung, die Menschen ermutigt, die Zumutungen gesellschaftlicher Machtverhältnisse zu erkennen, zu hinterfragen, bewusst Stellung zu nehmen und sich zur Wehr zu setzen. Dazu braucht es Angebote zur Entwicklung von Selbst- und Mitbestimmung sowie reflexive und gesellschaftskritische Bildungsinhalte, die Zusammenhänge offenlegen und global solidarisches Denken und Handeln stärken.
- Wir wollen einen Beitrag zu lebendiger Demokratie und gutem Leben für alle leisten, dazu gehört insbesondere der aktive Einsatz für gesellschaftlich benachteiligte Menschen und Gruppen. Beispielsweise sind (selbst-)reflexive Auseinandersetzungen mit geschlechterhierarchisch und rassistisch begründeten Machtverhältnissen zentrale Elemente einer kritischen Erwachsenenbildung.
- Wir treten für eine Verschränkung von Wissenschaft und Praxis ein, um die Autonomie des Handlungsfeldes Erwachsenenbildung insgesamt zu sichern und um die notwendige Schlagkraft zur Durchsetzung unserer Anliegen zu erreichen.
- Wir gehen davon aus, dass kritische Erwachsenenbildung mit Unsicherheiten, Diskontinuitäten und Widersprüchen umgehen und diese aushalten muss. Die darin liegenden Risse und Brüche eröffnen Denk- und Handlungsräume für notwendige Visionen, Utopien und Alternativen, die es der Erwachsenenbildung ermöglichen, sich den immer wieder an die Verhältnisse anpassenden Herrschaftsstrategien zu widersetzen.
Als kritische Erwachsenenbildung beziehen wir Stellung:
- Wir wehren uns dagegen, uns als verlängerter Arm staatlicher Repressionen missbrauchen zu lassen. Individueller Bildungserfolg oder Nicht-Erfolg darf nicht Grundlage von staatlichen Sanktionen sein.
- Wir wehren uns gegen jede Art des Aushungerns kritischer Bildung, aktuell insbesondere gegen die finanziellen Kürzungen feministischer und genderreflektierter Bildungs- und Forschungsarbeit.
- Wir werden sichtbar und laut sein und einen Anstoß für eine „Bildungsbewegung“ geben, die der neoliberalen Aushöhlung von Bildungsinhalten und der Reduktion von Bildung auf eine Ware kraftvoll entgegensteht.
Wer immer diesem Manifest zustimmen kann und es mittragen möchte,
möge es sich zu eigen machen und verbreiten.
Dieses Manifest wurde im Rahmen der 10. Veranstaltung der Reihe
„The dark side of adult education“ angestoßen und in weiterer Folge in einer
Aktionsgruppe fertig ausformuliert.
St. Wolfgang, Strobl, Wien und Graz, Mai 2019
Manifesto for critical adult education
These theses are addressed to all those who take seriously the mission and the possibility of adult education to contribute to a society that enables a good life for all.
In today’s social conditions, the capitalist economy determines the entire social life. The logic of markets and the overruling concept of growth as well as a performance orientation permeates all areas of life. We live in times in which governments spread fear, become dependent on globalised capital and make people the object of economic relations. We are confronted with a decline in solidarity and an increase in the systematic erosion of humanistic and social values. Responsibilities are being individualised, increasing competition is shaping social life and thus the conditions of education, learning and teaching.
Based on the outlined initial situation, we name our basic understanding of critical adult education:
- We share a basic attitude that places people at the centre of our work; this means that instead of propagating exclusion and competition this attitude should enable learners to cooperate, act together and show global solidarity.
- We stand for adult education that serves the development of the critical potentials of all and the development of a society based on solidarity.
- We advocate adult education that enables people to shape their own lives and social conditions consciously.
- We fight for adult education that promotes creative, cultural and political educa-tion and is not oriented towards commercial exploitability.
In the sense of a critical adult education understood in this way, we orient ourselves on principles that guide our actions:
- We pursue the idea of adult education that encourages people to recognize the impositions of social power relations, to question them, to take a conscious stand and to defend themselves. This requires measures for the development of self-determination and co-determination and, furthermore, reflective and socially critical educational contents that reveal connections and strengthen global solidarity in thinking and acting.
- We want to contribute to a vibrant democracy and a good life for all, including in particular active commitment to socially disadvantaged people and groups. Central elements of critical adult education are, for instance, (self-) reflective confronta-tions with gender hierarchies and racist power relations.
- We advocate an entanglement of science and practice in order to secure the autonomy of adult education as a whole, and to achieve the necessary influence to implement our concerns.
- We assume that critical adult education must deal and cope with uncertainties, discontinuities and contradictions. The inherent cracks of this process open spaces for thought and action for necessary visions, utopias and alternatives. They make it possible for adult education to resist strategies of domination that repeatedly adapt to the circumstances.
As critical adult education, we take a stand:
- We resist being instrumental as an extended arm of state repression. Individual educational success or non-success must not be the basis of state sanctions.
- We defend ourselves against any kind of starvation of critical education, in particular against the financial cuts of feminist and gender-reflected education and re-search.
- We will be visible and loud and provide an impetus for an „education movement“ that strongly opposes the neoliberal erosion of educational content, and the reduction of education to a commodity.
Whoever can agree to this manifesto and wants to support it, may it become your own and spread.
This manifesto was presented during the 10th event of the series
„The dark side of adult education“
and subsequently formulated in an action group.
St. Wolfgang, Strobl, Vienna and Graz, May 2019